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Auf dem langen Weg ins Ausland

Samstag, 1. April, früher Nachmittag. Es regnet leicht und wir radeln wie öfter am Wochenende genussvoll die Spree entlang durch den Treptower Park – unser Lieblingspark in Berlin. Bei dem Wetter ist es ungewöhnlich leer hier. Und noch was fühlt sich schön und anders an als sonst. Denn heute werden wir nicht nur eine Parkrunde drehen. Heute wird es danach nicht zurück nach Friedrichshain gehen. Nicht zurück aufs Sofa. Und Montag auch nicht zurück ins Büro. Heute fahren wir einfach immer weiter. Bis ans Ende des Parks. Bis an den Rand von Berlin. In diesem Moment beginnt endlich unsere neue Reise nach Asien.
In unseren Körpern mischt sich gerade das schöne Gefühl von Fernweh und Freiheit mit dem aufregenden Glücksgefühl, dass der herzliche Abschied von Familie und Freunden heute Vormittag und in den letzten Wochen ausgelöst hat. All die Umarmungen, lieben Worte und besonderen Aufmerksamkeiten sind wie eine kuschelige Decke, die mitreist. Auf diesen allerersten Kilometern unseres neuen Abenteuers merke ich allerdings auch noch die leichte Anspannung bei dem Gedanken, diesmal vor allem aus eigener Kraft unterwegs zu sein. Bei Micha mach ich mir da keine Sorgen – er muss sich nur den Kopf freitreten. Ich dagegen frage mich, wie viel Energie und Ausdauer ich auf dieser Reise an den Tag legen kann und muss. Im Alltag bin ich gern mit dem Rad unterwegs, aus praktischen Gründen. Manchmal auch zum Genuss. Und wir haben auch schon zwei herrliche Fahrradtouren entlang der Saale und einmal nach Usedom gemacht – zur Probe. Aber bis nach Asien bin ich noch nie geradelt. Jetzt, in den Vierzigern, wird das wohl noch gut gehen. Zur physischen Vorbereitung haben wir im letzten halben Jahr jeden Morgen beim Yoga unsere Beweglichkeit trainiert, haben Ärzte besucht und unseren Reiseimpfschutz aufgefrischt. Im Grunde fühlen wir uns fit genug für das neue Abenteuer, von meinem knackenden Kniegelenk und Michas verspanntem Rücken abgesehen.

1. April 2023: Es geht los!

An unserem ersten Reisetag erreichen wir am frühen Abend nach 52 Kilometern den Mellensee südlich von Berlin. Unsere Freunde Kristin und Waldi hatten die tolle Idee, uns dort zu treffen und von hier ein Stück gemeinsam zu radeln. Sie haben uns für die erste Nacht eine kleine gemütliche Pension spendiert. Eine geniale Überraschung, denn so können wir uns hundemüde ins warme Bett fallen lassen. Vier Tage lang sind wir als Radlergemeinschaft zu Michas Cousin bis nach Borna in Sachsen unterwegs. Ich muss mich dabei erst noch an mein Reiserad und das andere Tempo gewöhnen. Die 50 bis 60 Kilometer am Tag fühlen sich trotz leichtem Rückenwind für mich wie eine Ewigkeit an. Auf den vorherigen Reisen mit dem Motorrad waren wir in zwei Tagen raus aus Deutschland. Diesmal haben wir, obwohl wir fleißig in die Pedale treten, am Abend gerade mal ein anderes Bundesland erreicht.

Erste Zeltnacht – Schönfelser Wald, Sachsen

Das Aprilwetter ist kalt und jetzt wird es auch noch wolkig und regnerisch. Am sechsten Tag der Reise wollen wir trotzdem in der Wildnis von Sachsen endlich unser Zelt benutzen. Nahe der Pleißequelle in Ebersbrunn finden wir in einem kleinen Waldstück ein Plätzchen und kriechen nach dem Abendessen warm angezogen in die Daunenschlafsäcke. Am nächsten Morgen hat sich die nasskalte Waldluft von außen und innen auf die Zeltwand gelegt. Mit steif gefrorenen Händen packen wir alles in Ruhe zusammen, klicken die Taschen zurück an die Fahrräder und kommen trotz eiskaltem Nieselregen auf den ersten Steigungen ins Schwitzen. Wir sind mittlerweile im hügeligen Vogtland unterwegs und müssen aufwärts kräftig reintreten, denn sobald die Straße ansteigt, bremst das schwere Gepäck unsere Fahrt gnadenlos aus. Das Geniale an unseren Reiserädern ist die handliche Nabenschaltung, von der man jederzeit direkt mit einem Dreh in jeden Gang durchschalten kann – am Berg am besten in den niedrigsten. Und obwohl das so gut wie nie passieren dürfte, kann ich kurz vor Auerbach meine Schaltung dann plötzlich nicht mehr bedienen. Nicht mal 300 Kilometer von zuhause entfernt die erste Panne.
Die Schaltung lässt sich kaum selbst reparieren. Wir schieben daher zu einer Tankstelle in der Nähe, wärmen uns erstmal mit Tee auf und schmieden einen Plan: ein Großraumtaxi nach Plauen zum Fahrradgeschäft, wo die netten Jungs ohne Zögern hilfsbereit Hand anlegen. Glücklicherweise hat Micha das passende Ersatzteil dabei: der Bowdenzug am Nabeneingang der Rohloffschaltung hatte sich aufgespleißt und so die Schaltung blockiert.
Es bleibt ein wunderbares Gefühl, wenn andere einem so spontan aus der Patsche helfen. Überhaupt treffen wir bereits hierzulande viele nette Leute, die uns neugierig auf unsere vollbepackten Räder ansprechen. Manche von ihnen hätten am liebsten selbst so eine Reise gemacht, für andere ist sowas unvorstellbar.

Wir verbringen einen herrlich entspannten Ostersonntag in Plauen und starten am nächsten Tag bei Sonnenschein motiviert in unsere bisher bergigste Tagesetappe. Gleich hinter der Stadt geht`s endlos aufwärts. Lächeln statt hecheln, denke ich. Weiter südlich geht das Vogtland dann ins Mittelgebirge über. Wir radeln öfter durch einsame Wälder, in denen das saftige Moos leuchtet. Einschließlich eines unmerklichen Schlenkers durch Tschechien steuern wir als Tagesziel einen fränkischen Gasthof in Hohenberg an der Eger an. Und der liegt natürlich auf einem hohen Berg. Nur noch zwei steile Kilometer bis zum Feierabend! Nach dem unzähligen Auf und Ab seit heute Morgen ist meine Beinkraft eigentlich längst aufgebraucht und unsere Räder hängen wie Blei an der schmalen steilen Straße. Das letzte Stück schieben wir die Packesel an grasenden Kühen vorbei ins Dorf und stehen nun endlich vor dem Gasthaus. „Servus!“ begrüßt uns der nette Wirt in Lederhose und Karohemd. In seiner gemütlichen Gaststube ist an diesem Abend zu den Osterferien die Hölle los. Die Kellnerin schleppt hochschwanger Bierhumpen und Teller mit deftigem Essen an die Tische. Wir beide sind heute einfach zu k.o. für ein Dinner. Schnell noch das ganze Gepäck ins kleine Zimmer unters Dach hieven und so endet unser Tag mit ingesamt 1.101 Höhenmetern bergauf im Fichtelgebirge. Eine heiße Dusche, ein frisch gezapftes Radler und ich falle zufrieden und mit einem stolzen Gefühl wie ein Felsbrocken unter dem dicken Federbett in einen schweren Schlaf.



Nach einem verregneten, aber entspannten Stopp in Regensburg und am Chiemsee besuchen wir Reisefreund Pit im idyllischen Chiemgau. Pit hat schon viele Teile der Welt im Paddelboot und auf dem Rad bereist – ob Grönland oder Südostasien. Wir lernten uns auf unserer letzten Asienreise in den Bergen Nordthailands kennen. Da war er knapp 70 Jahre alt und hat uns mit seinem Elan beeindruckt. Jetzt, sieben Jahre später, sitzen wir am heißen Kachelofen in seinem wunderschönen Holzhaus und hören bei einer bayerischen Brotzeit seinen Geschichten zu. Menschen wie er inspirieren uns. Und Pit ist einer derjenigen, die mich insgeheim ermutigt haben, sich überhaupt aufs Fahrrad zu wagen – für so weit, so hoch und so lange.
Pit nimmt uns noch einen Tag lang mit auf eine Wanderung durch die frühlingsfrische Bergnatur und dann satteln wir auch schon wieder auf. Vom Chiemgau aus ist es wirklich nur ein Katzensprung nach Österreich – 19 Tage nach der Abreise erreichen wir endlich das Ausland. Noch ein Besuch bei Freunden in Unken und dann stoßen wir kurz unter Salzburg mit Zuversicht auf den Alpe-Adria-Radweg, der uns etwa 400 Kilometer lang durch die Alpen und Italien bis ans Adriatische Meer führen wird. Auf den Spitzen der beeindruckenden Berge liegt zur Zeit noch jede Menge Schnee, aber die Täler sind bereits saftig grün.

3 Gedanken zu „Auf dem langen Weg ins Ausland“

  1. Hallo Ihr Beiden
    Wir wünschen Euch eine pannenfreie und erlebnisreiche Reise,
    Wir treiben uns zurzeit in Albanien herum
    Herzliche Grüße
    Peter

  2. Liebe Suse, lieber Micha,
    wir werden morgen ins Baltikum aufbrechen und möchten euch hiermit ganz liebe Grüße schicken. Habt eine pannefreie Weiterreise mit vielen schönen Erlebnissen.
    Angy&Jörg

  3. Hallo Suse, deine Mutti informiert mich immer, wenn neue Berichte von euch zu lesen sind. Ich wünsche euch eine super schöne Zeit, viele tolle Erlebnisse und nette Menschen, die euch begegnen. Kommt beide gesund wieder in die Heimat 🥰
    Liebe Grüße aus Bad Wilsnack

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