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Sri Lanka (1): Zwischen Buddha und Elefanten

Sri Lanka ist gerade mal so groß wie Bayern, aber die Vielfalt der Insel ist wirklich erstaunlich. Dabei haben wir nicht mal das ganze Land bereist. Wir kamen an traumhafte Strände, radelten durch dichten Dschungel, über zweitausend Meter hohe Berge, entlang an Feldern und Teeplantagen, durch bunte Dörfer sowie Ruinen alter Königreiche. Wir begegneten lächelnden und winkenden Menschen, vielen Buddhas und reichlich wilden Tieren. Kein Wunder, dass Leute aus der ganzen Welt auf Sri Lanka Urlaub machen – mein paar Orte sind regelrecht überlaufen von ihnen. Es gibt allerdings auch genügend Gegenden, da trifft man überhaupt keinen anderen „Foreigner“.

26. Februar 2024, mittags. Vor einer Stunde waren Micha und ich noch in Indien. Jetzt landet der Flieger auf der sogenannten Perle im Indischen Ozean. Wir kommen zügig durch die Passkontrolle und können kurz darauf das Gepäck inklusive Fahrradkartons im Terminal abholen – alles lief wie geplant. Bei der Taxifahrt in die etwa zehn Kilometer entfernte Stadt Negombo fallen uns sofort zwei Unterschiede auf. Hier ist es deutlich sauberer als in Indien. Und vor allem wird viel weniger gehupt. Nach drei Monaten auf indischen Straßen ist das eine Riesenwohltat.
Negombo liegt direkt am Meer, hat einen langen Sandstrand und gleich dahinter eine bunte Touristenstraße. Es riecht nach Sonnencreme und trotzdem sieht man viele Urlauber mit verbrannter Haut. Angekommen im kleinen Hotel von Ehepaar Rani und Satar nehmen wir Reisefreund Josch und seinen Kumpel Tom aus Deutschland in die Arme. Es ist das dritte mal auf dieser Reise, dass wir Josch treffen. Vor ein paar Tagen ist er (ohne sein Motorrad) aus Goa hierher geflogen, um drei Wochen mit seinem Kumpel die Insel zu erkunden. Tom war so lieb und hat uns ohne zu zögern in seinem Urlaubskoffer ein paar Ersatzteile für die Fahrräder sowie eine neue Radhose mitgebracht.
Wir vier sind in Urlaubsstimmung und machen zusammen einen zweitägigen Ausflug ins alte buddhistische Höhlenkloster von Dambulla sowie nach Sigiriya – und zwar bequem im klimatisierten Van und mit Guide Paul, der alles für uns organisiert. Was für eine Wohltat, einfach mal Urlauber zu sein und sich um nix kümmern zu müssen.
Zum Programm gehört auch eine Jeepsafari durch den Eco Nationalpark, bei der wir erstmals freilebende Elefanten sehen. Die sanften Riesen sind daran gewöhnt, täglich beobachtet und im Grunde von Touristen belagert zu werden. Manche laufen mit ihren dicken runden Füßen ganz nah und ruhig an unserem Fahrzeug vorbei, rupfen mit dem Rüssel am hohen Gras und fressen genüsslich. Wer hat nur diese fabelhaften Tiere erschaffen? Fünftausend wilde Elefanten soll es auf Sri Lanka geben – der Großteil wandert außerhalb von Nationalparks frei umher und konkurriert mit den Menschen um den knappen Lebensraum. Besonders Kleinbauern versuchen verzweifelt ihre Felder bzw. Ernten zu verteidigen – regelmäßig mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten.

Zurück in Negombo schraubt Micha beide Fahrräder zusammen und macht gleich noch eine Wartung. Bei einer kurzen Probefahrt am Abend wird ihm feiner Sand auf dem Asphalt zum Verhängnis und er stürzt über den Lenker auf die Straße. Sein rechter Handballen hat jetzt eine tiefe Schürfwunde, vier Zehen sind geprellt und sein Ringfinger ist angeschwollen. Zum Glück kann Micha damit noch Fahrradfahren. Also verabschieden wir uns wie geplant am nächsten Morgen von Josch, Tom und den lieben Gasteltern, um für mehrere Wochen die Insel zu erkunden. Dafür radeln wir zunächst einmal quer durch die Hauptstadt Colombo und dann von Ort zu Ort oder besser von Strand zu Strand an der Südküste entlang. Nach zwei Tagen muss Micha leider feststellen, dass die in Indien geschweißte Stelle hinten an seinem Fahrradrahmen wieder einen Riss bekommen hat. Diesmal möchte er eine Verstärkung aus Flachstahl hinter die Bruchstelle schweißen lassen. Gastvater Kamal in Dodanduwa hilft ihm, einen guten Schweißer im Dorf zu finden. Micha ist jetzt sehr zufrieden und sich sicher, dass die reparierte Stelle diesmal hält.

Es ist sehr schwül und heiß an der Küste. Nachmittags liegen wir wie gelähmt unter dem Ventilator und nachts unter’m Moskitonetz. Einen Tag lang prasseln mehrere tropische Regenschauer herunter, während wir geschützt auf der Terrasse unserer Unterkunft im Grünen sitzen. Es riecht wie früher in den Sommerferien und wir freuen uns wie Kinder, dass es regnet. Doch die Luft kühlt auch danach kaum ab. Das Meer ist ebenfalls viel zu warm für eine echte Erfrischung. Anders als Micha geh ich hier sowieso nur selten schwimmen. Zwar sind viele Strände bildschön und wenig besucht, nur leider gibt es oft Felsen im Wasser, teilweise Unterströmungen und fast immer kräftige Wellen, die laut und schäumend am Ufer aufschlagen. Ich bin gerne am Wasser, aber das offene Meer macht mir generell Angst. Schon als Baby bin ich in der Wanne in Panik geraten und halte heute manchmal immer noch die Luft an, wenn mir beim Duschen das Wasser über den Kopf läuft. Entspannt baden gehen kann ich nur, wenn das Meer einigermaßen ruhig und klar ist.


Wir steigen meistens kurz nach Sonnenaufgang auf die Fahrräder und radeln fünfzig bis siebzig Kilometer über kleine, wenig befahrene Nebenstraßen durch die üppig grüne Landschaft. Für uns ist das die schönste Zeit des Tages und auf den ersten Kilometern fährt jedes mal ein Gefühl von Glück und Freiheit mit. Das Morgenlicht ist angenehm sanft und man spürt diese Mischung aus Ruhe und Erwachen. Die ersten grauen Warane huschen am Wegesrand entlang. Gestreifte Palmenhörnchen oder Affen springen durch die tropischen Bäume und über Stromleitungen. Dunkle glänzende Wasserbüffel stampfen gemächlich durch die feuchten Reisfelder. Bunte Vögel fliegen mit exotischen Lauten über unsere Köpfe. Eher traurig anzusehen sind die unzähligen Straßenhunde auf Sri Lanka. Viele sind abgemagert, leiden unter Räude oder humpeln. Die meisten Hunde liegen tagsüber in den Siedlungen herum und ignorieren uns, wenn wir angeradelt kommen. Es gibt allerdings auch immer wieder Hunde, die unseren Rädern bellend hinterher jagen.
Bei einer Trinkpause kurz vor Dickwella halten wir an einer großen weißen Buddha-Statue an. Die Sonne brennt jetzt unerbittlich. Ein alter Mönch in dunkelorangenem Gewand hat uns entdeckt und führt uns barfuß durch den Tempel in der Nähe. Die Sohlen seiner breiten braunen Füße sind ganz rau. Er geht etwas gebückt und auf seinem kahlen Kopf sprießen vereinzelt weiße Haare. Micha und ich huschen mit unseren Füßen zügig über die hellen Steinplatten um den Tempel, die von der Sonne so heiß sind, dass es an den Füßen brennt. Obwohl das Gelände ein buddhistischer Ort ist, werden hier gleichzeitig Hindugötter verehrt. Wir werden das noch öfter auf Sri Lanka sehen, dass Buddha und Elefantengott Ganesha, der Überwinder aller Hindernisse, nebeneinander sitzen – ein Symbol dafür, dass sich beide Religionen in ihrer langen Tradition gegenseitig beeinflussen. Der alte Mönch bringt uns noch auf einen Tee zum Obermönch. Stolz erzählt uns dieser, dass er vor ein paar Jahren den ältesten Buddha-Tempel Europas besucht hat, und zwar in Berlin-Frohnau.
Gesegnet vom Besuch im Tempel hält Ganesha auch gleich seinen schützenden Rüssel vor uns. Nur wenige Kilometer weiter fällt direkt vor meinen Augen eine grüne Kokosnuss von oben auf die Straße und zerplatzt mit einem Knall auf dem Asphalt. Erschrocken halten wir den Rest des Tages, der recht windig ist, Ausschau nach jeder Kokospalme, die über den Weg ragt.


Bevor wir nördlich nach Udawalawe abbiegen und langsam ins kühlere Bergland der Insel vorstoßen, fahren wir noch an den Schildkrötenstrand von Rekawa. Der kleine Strand ist einer der seltenen Orte weltweit, an dem gleich fünf von sieben Meeresschildkrötenarten regelmäßig ihre Eier ablegen. Wir finden es unglaublich, dass die Tiere dafür genau den Strand ihrer eigenen Geburt ansteuern, nachdem sie mindestens dreizehn Jahre und tausende Kilometer entfernt im Ozean unterwegs waren.
In Rekawa gibt es seit dreißig Jahren ein Schutzzentrum, das die bedrohten Schildkröten überwacht und vor allem deren Nester vor Ausraubung durch Mensch und Tier bewahrt. Nach Sonnenuntergang wird der komplette Strand gesperrt. Allerdings gibt es fast jeden Abend die Möglichkeit, als Gruppe begleitet von einem Guide eine Schildkröte bei der natürlichen Eiablage zu beobachten. Für das Zentrum ist das eine wichtige Einnahmequelle. Und wenn sich alle an die Regeln halten, sollen sich die Tiere dadurch auch kaum gestört fühlen.
Wir schließen uns am Abend einer ziemlich großen Gruppe von etwa dreißig Leuten an, die im Dustern durch den tiefen Sand am Strand stapfen, um das besondere Naturschauspiel zu sehen. Während aus der großen Schildkröte viele runde Eier in die Sandkuhle fallen, sei sie in einer Art Trance, heißt es. Der Guide leuchtet ausschließlich mit einem roten Licht auf das Geschehen, weil die Schildkröte dieses Licht kaum wahrnehmen kann. Nacheinander dürfen ein paar Leute ans Nest herantreten. Der Rest muss mit ein paar Metern Abstand warten. Nach etwa einer Stunde sind alle Eier gelegt und die Schildkröte beginnt, ihr Nest mühsam mit Sand zu bedecken. Zum Schluss läuft sie etwas erschöpft direkt ins nächtliche Meer zurück und schwimmt davon. Obwohl sich fast alle in der Gruppe angemessen verhalten haben, bin ich unsicher, ob es der Schildkröte tatsächlich nichts ausmacht, von so vielen Leuten umringt zu sein.

Wir beide sind auf einmal ziemlich reisemüde. Vielleicht lähmt uns das tropische Klima, in dem wir uns seit Monaten aufhalten. Vielleicht sind unsere Köpfe etwas voll. Oder vielleicht vermissen wir einfach nur Berlin, unsere Familie und Freunde, die wir seit fast einem Jahr nicht mehr umarmt haben. In dieser lustlosen Verfassung fällt es uns schwer, die nächsten Reiseschritte zu planen. Wir wissen aus Erfahrung, dass solche Momente völlig normal sind. Vielleicht hilft es, wenn wir die touristische Küste hinter uns lassen und ins bergige Inland der Insel fahren. Micha und ich sehnen uns auf jeden Fall nach etwas kühlerer Umgebung und strampeln dafür gerne affensteile Straßen nach oben. Ob das unsere Reiselust rettet? Fortsetzung folgt.

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